Da vorauszusehen war, dass die Bauarbeiten für die Renovierung und Erweiterung des Sportzentrums P. de Coubertin im Zentrum von Amiens auf einer über einen Hektar großen Fläche mögliche vorhandene Überreste des antiken Samarobriva zerstören würden, setzte man eine archäologische Prospektion an. Die ersten von Noël Mahéo 1990 durchgeführten Sondierungen erwiesen sich als positiv und bestätigten, dass der von dem Projekt betroffene Sektor tatsächlich im Herzen der gallo-römischen Stadt lag. Von August bis November 1992 wurde das archäologische Potential dann von einem Archäologenteam der AFAN erfasst. Die Grabung selbst wurde von Mai 1993 bis März 1994 durchgeführt.

Die große Fläche und der gute Erhaltungszustand der Überreste waren entscheidend für das Verständnis des Fundplatzes, der zahlreiche Informationen zu den Anfängen des Urbanismus, der Organisation und der Entwicklung eines Viertels zwischen seiner Gründung zu Beginn unserer Zeitrechnung und seiner Aufgabe kurz vor Ende des 3. Jh. n. Chr. lieferte.

Mehrere Parzellen, die bis zur Aufgabe des Viertels bestehen, sind in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. mit Gebäuden, Gruben und Silos belegt und von Gräben oder seltener von Palisaden umgeben. Das umfangreiche Fundmaterial liefert ein recht genaues Bild dieser ersten, eher ländlich geprägten Siedlungsphase, deren Strukturen um 50/60 geschliffen werden.

Um 60 entstehen also die ersten, zum Teil aus Stein errichteten Bauten. Die Böden der freigelegten Wohnhäuser bestehen überwiegend aus Stampflehm, das Gebälk aus Holz und die Wände aus Strohlehm; daneben findet auch Stein Verwendung, insbesondere Kreide, für den Bau besonders markanter Gebäudeteile, wie monumentaler Eingangsbereiche.

Zum ersten Mal konnte in Amiens die zeitliche und räumliche Entwicklung von 9 domus über fast drei Jahrhunderte verfolgt werden. Diese großen Wohnkomplexe, mit einer Fläche von 450 bis über 2 800m2 gehörten hochgestellten Persönlichkeiten.

Die Privaträume dieser domus führten auf der von der Straße abgewandten Seite zu einem großen, von einer Portikus umgebenen Innenhof. Auf der Straßenseite öffneten sich weitere Räume zum ebenfalls überdachten Bürgersteig hin. Es könnte sich um Läden oder kleine Handwerksbetriebe gehandelt haben.

Die größte, vollständig freigelegte domus, mit einer Fläche von 2 800 m2, hat es ermöglicht, das deren Raumaufteilung zugrunde liegende Prinzip zu verstehen: es bestand darin, den Wohlstand des Besitzers von der Straße aus sichtbar zu machen, deshalb lagen die besonders sorgfältig gestalteten Prunksäle zwar im hinteren Bereich der Parzelle, doch auch in der Achse des Eingangs. Zu diesem Empfangsraum gelangte man vom Vestibül über einen atrium-ähnlichen Raum und einen großen, mit Pflanzen geschmückten Innenhof.

Wie die öffentlichen Gebäude rivalisieren diese vornehmen Wohnsitze, deren Architektur einer im ganzen Reich verbreiteten architektonischen Tradition entsprach, miteinander, um einigen Vierteln Samarobrivas ein gepflegtes, einer der bedeutendsten Städte Nordgalliens würdiges Erscheinungsbild zu verleihen. Die Studie der Architekturelemente untermauert diesen Eindruck.

Bei dieser Grabung wurden zudem zahlreiche Keramikscherben gefunden, die sowohl über die Änderung der Vertriebsnetze Auskunft geben als auch über die Entwicklung des Geschirrs und der Essgewohnheiten. Die Untersuchung der Fauna liefert ebenfalls Informationen über die Ernährung der Bewohner dieser domus.

Daneben wurden an die 1 600 Fragmente von so genanntem „Kleingerät“ gefunden. Sie spiegeln, egal ob sie aus Bein, Bronze, Eisen, Glas oder gebranntem Ton sind, das Leben der Bewohner eines Viertels von Samarobriva in der frühen Kaiserzeit wider und zeugen vom Alltag sowohl im sozialen, häuslichen, wirtschaftlichen als auch im persönlichen Bereich. Der außergewöhnliche Charakter einiger Gegenstände, in technischer und ästhetischer Hinsicht bestärken die Vorstellung, dass die Bewohner dieses Viertels relativ wohlhabend waren.

Diese archäologische Präventivgrabung bot Gelegenheit unsere Kenntnis des gallo-römischen Amiens in zahlreichen Bereichen zu erneuern und zu erweitern.

Traduction : Isa odenhardt-donvez (donvezservit@wanadoo.fr).